Kein Kunststoff wirkt „lichtiger“

Die Special-Effects-Abteilungen der Filmindustrie nutzen schon lange Siliconkautschuk, um möglichst originalgetreue Körperimitationen anzufertigen. Mittlerweile setzen auch die Maskenbildner der Münchner Kammerspiele auf dieses Material, das dem Erscheinungsbild der menschlichen Haut sehr nahekommen kann.

26.05.2020 Lesezeit: ca. MinutenMinute

Kein Kunststoff wirkt „lichtiger“

Die ganzen großen Namen, die dem Ensemble der Münchner Kammerspiele angehören oder ihm angehört haben, stehen Kopf an Kopf in den Wandregalen der Maskenwerkstatt. Ein Who’s who der deutschen Schauspielkunst, abgegossen und nachgeformt aus Siliconkautschuk und Gips. „Wir brauchen die Kopfabdrücke der Schauspielerinnen und Schauspieler, um Perücken passgenau anzufertigen“, sagt Brigitte Frank, die Leiterin der Abteilung Maske bei den Kammerspielen. „Der Zuschauer soll schließlich nicht wahrnehmen, dass ein Spieler oder eine Spielerin eine Perücke trägt.“

Silicon ist allgegenwärtig in den Werkstatträumen in der Otto-Falckenberg-Straße 2, wo auch die Intendanz und die Verwaltung des städtischen Theaters sitzen. Links neben der Tür sind zahlreiche künstliche Narben aus Silicon mit bunten Stecknadeln auf eine Musterplatte gepinnt. Auf den Werkstatttischen liegen ganze Körperteile – Arme, Hände, Beine. Manches wirkt in seiner unmittelbaren Körperlichkeit sehr drastisch, aber Tränen, Blut und Leichen gehören seit jeher zum Theater, schon in den ersten griechischen Tragödien des Sophokles. „Wir setzen mit unseren maskenbildnerischen Mitteln den dramaturgischen Effekt um, auf den der Regisseur abzielt“, formuliert Brigitte Frank ihren Anspruch.

Die Münchner Kammerspiele gehören zu den großen Bühnen im deutschsprachigen Raum. Bert Brecht arbeitete hier ab 1922 als Dramaturg und später als Regisseur. Die Schauspielikonen der 1920er- bis 1980er-Jahre, Elisabeth Bergner, Therese Giehse und Marianne Hoppe, feierten in dem Jugendstilgebäude in der Maximilianstraße 26 große Erfolge. Und als der Regisseur und Schauspieler Fritz Kortner, eine Größe des expressionistischen Theaters, 1947 aus dem Exil in den USA ins zerbombte Nachkriegsdeutschland zurückkehrte, wurden selbstverständlich die Kammerspiele seine künstlerische Heimat. So häufig wie keine andere deutschsprachige Bühne bekam dieses Haus die Auszeichnung Theater des Jahres verliehen – zuletzt 2019. Auch in diesem Jahr waren die Münchner wieder mit zwei Stücken zum Berliner Theatertreffen eingeladen, wo die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum vorgestellt werden sollten. Das Treffen wurde dann allerdings wegen der Coronavirus-Pandemie abgesagt.

Eimer mit WACKER-Siliconkautschuken

ELASTOSIL® FX 20, einer von vier WACKER-Siliconkautschuken speziell für die Special-Effects-Branche, wird in zwei Komponenten ausgeliefert, die kurz vor der Verarbeitung gemischt werden.

Negativform aus Siliconkautschuk

Die Negativform aus Siliconkautschuk, bevor sie mit einem Trennmittel eingestrichen wird, sodass anschließend eine hautfarbene Positivkopie, ebenfalls aus Silicon, erstellt werden kann. Um die Materialien besser auseinanderhalten zu können, ist die Negativform blau eingefärbt.

Hoher Anspruch

So hoch wie der künstlerische Anspruch der Kammerspiele ist auch der Anspruch der Regisseure an die Abteilung Maske – und der der Maskenbildner an ihre eigene Arbeit. „Für uns zählt nicht das Material, sondern die Wirkung, die man mit dem Material erzielen kann“, sagt Brigitte Frank. „Wir sind heute von filmischen Sehgewohnheiten geprägt, von einem hohen Anspruch an Realismus. Und wenn auf der Bühne Realismus gefordert ist, dann bietet uns das Material Silicon eine Möglichkeit, diesen Realismus herzustellen.“ Silicon erweitere das Spektrum der Maskenbildner. „Wir können auf der Bühne filmischer arbeiten“, betont Frank, die 1985 ihre Ausbildung an den Kammerspielen begonnen, dann 15 Jahre lang eine eigene Werkstatt für Spezialeffekte (SFX) und Perückenherstellung gegründet und 15 Jahre lang geführt hatte, bevor sie 2009 mit der neuen Intendanz unter Johan Simons in die Maximilianstraße zurückkehrte.

In ihrer eigenen Werkstatt kam Brigitte Frank Mitte der 2000er-Jahre erstmals mit einem Kunststoff in Berührung, der von Maskenbildnern in der Filmindustrie bereits intensiv genutzt wurde, an Theatern aber damals noch kaum verbreitet war: Siliconkautschuk. Seitdem hat sich Brigitte Frank intensiv mit den Besonderheiten dieses Werkstoffs auseinandergesetzt und das Team der Münchner Kammerspiele zählt mittlerweile zu den Siliconexperten.

Standardwerkstoff auf der Bühne

Für viele Anwendungen auf der Bühne – zum Beispiel künstliche Narben oder Glatzen – ist Silicon in kürzester Zeit zum Standardwerkstoff avanciert. „Unser Anspruch an die Lebensechtheit des Materials ist mittlerweile so hoch wie beim Film“, sagt Brigitte Frank. Das liegt nicht nur an den vielen Videoeinspielungen, sondern auch an dem gewachsenen künstlerischen Anspruch. „Mit dem neuen Werkstoff haben wir überhaupt erst die Möglichkeit bekommen, etwas Hyperrealistisches zu bauen“, wie Brigitte Frank erklärt.

Die Fachleute stechen einzelne Haare in das Silicon der Kopfhaut ein.

Künstliche Kopfhaut

Vorsichtig fährt die Maskenbildnerin mit den Fingern über eine künstliche Kopfhaut, die einem Schauspieler, der für eine bestimmte Rolle eine Glatze haben soll, auf die Haare aufgesetzt und dann verklebt wird. „Silicon hat eine bessere Lichtwirkung als andere Kunststoffe“, erläutert Brigitte Frank. Die Haut wirke „lichtiger“ – damit meint sie lichtdurchlässiger, lichtwirksamer und insgesamt realistischer, lebensechter.

Wenn der Schauspieler vor seinem Auftritt in die Maske kommt, arbeiten an einer Special-Effect-Maske öfter auch zwei Maskenbildner und -bildnerinnen gemeinsam daran, ihn unter hohem Zeitdruck so zu schminken, dass die Übergänge zwischen echter und künstlicher Haut nicht sichtbar sind. Die Herausforderungen seien manchmal größer als in der Filmindustrie, sagt Brigitte Frank. „Im Film wird eine Einstellung gedreht und dann kann der Maskenbildner nacharbeiten. Unsere Maske muss zwei Stunden halten. Und wir haben weniger Vorlauf!“

Aus der Filmindustrie kommt auch die Praxis, für besonders drastische Szenen ganze Körper von Schauspielern aus Siliconkautschuk nachzubilden. Derzeit arbeitet das Team der Maskenabteilung der Münchner Kammerspiele unter Leitung von Brigitte Frank an einer Abformung der hyperrealistischen Kopie des Körpers der Wiener Choreografin Florentina Holzinger, die für ihre expliziten, körperbetonten Performances bekannt ist.

ELASTOSIL® FX 20 eignet sich sehr gut für möglichst körpernahe Reproduktionen. Es ist so eingestellt, dass eine optimale Mischung aus Stabilität und Weichheit entsteht.“

Hans-Rudolf Pfeffer, Leiter Anwendungstechnik, Industrial Solutions, WACKER SILICONES

Form wird mit Siliconkautschuk ausgegossen

Der gut gießbare Siliconkautschuk wird in einem Hautton eingefärbt.

Team verteilt flüssiges Silicon auf der Negativform

Mit Pinseln und Spachteln verteilt ein ganzes Team von Maskenbildnern das noch flüssige Silicon auf der Negativform.

Körpererfahrung nötig

„Solche Ganzkörperabformungen sind eine ziemliche Herausforderung – auch für das Modell. Das machen wir nur mit Künstlern, die Körpererfahrung haben“, betont Brigitte Frank. Die Künstlerin liegt dafür auf einem langen Tisch in der Mitte des Raums, sieben Mitarbeiter der Maske stehen um sie herum, bis Tommy Opatz einen Eimer mit einem blauen Siliconkautschuk bringt, dessen A- und B-Komponenten gerade angerührt wurden. Konzentriert gießt der Maskenbildner das Silicon über dem Körper des Modells aus, seine Kollegen verteilen die zähflüssige Masse derweil gleichmäßig mit Pinseln und Spachteln. „Wir haben nur eine kleine Zeitspanne für den gesamten Abdruck, weil das Silicon so schnell vernetzt und das Modell den Strapazen des Abdrucks auch nicht lange standhält“, sagt Tommy Opatz, ein Maskenbildner, der vor seiner Zeit bei den Kammerspielen in der Filmindustrie war und unter anderem an den Hobbit-Verfilmungen mitgearbeitet hat.

Drei Schichten aufgetragen

Nach sechs bis sieben Minuten ist die erste Siliconschicht vernetzt, es folgen noch zwei weitere Schichten, bis der elastische Kautschuk dick genug ist, um eine tragfähige Negativform zu bilden. „Keine einzige Blase hat sich dabei gebildet“, betont Opatz. Nun bringen die Maskenbildner eine Schicht aus Gipsbinden auf das Silicon auf, um die Kunststoffmasse zu stützen. Anschließend wird die Form von den Teammitarbeitern und -mitarbeiterinnen abgehoben. Das Modell dreht sich auf dem Tisch vom Rücken auf den Bauch und der ganze Prozess wird auf der Körperrückseite wiederholt. Nach 45 Minuten ist der Abformungsprozess beendet, und alle Beteiligten atmen auf – ganz besonders das Modell, von dem der Abdruck genommen wurde.

Am nächsten Tag kommt das Team von sechs Maskenbildnerinnen und Maskenbildnern erneut zusammen, um nun die Negativform mit einem Siliconkautschuk auszugießen, der dann erst die (Positiv-)Kopie eines Körpers bildet. „Der größte anzunehmende Unfall wäre es, wenn das Silicon sich miteinander verbinden würde“, sagt Tommy Opatz.

Während der Anfertigung der Positivkopie arbeiten die Maskenbildner unter Hochdruck und mit höchster Konzentration. Da das Material in wenigen Minuten vernetzt, muss der ganze Prozess schnell gehen.

Die Negativform, ebenfalls aus Siliconkautschuk, wird wegen der Elastizität des Materials mit Gipsbinden gestützt.

Zum üblichen Prozedere des Kammerspiele-Teams gehört deshalb, dass vorher Tests mit verschiedenen Trennmitteln stattfinden. „Nicht jedes Trennmittel passt zu jedem Silicon“, weiß Brigitte Frank. Auch die Anzahl der Kautschukschichten sollte vorher ausprobiert werden – und auch wie lange der vulkanisierte Siliconkautschuk auslüften muss. „Das alles ist Erfahrungswissen, das im Fall einer konkreten Anwendung dann aber immer auf dem Prüfstand steht“, fügt sie hinzu.

Zur eigentlichen Abbildung nutzen die Maskenbildner ELASTOSIL® FX 20, einen gießbaren, bei Raumtemperatur additionsvernetzenden Siliconkautschuk, der in zwei Komponenten geliefert wird. „Dieses Silicon eignet sich sehr gut für möglichst körpernahe Reproduktionen – es ist so eingestellt, dass eine optimale Mischung aus Stabilität und Weichheit entsteht“, erklärt Hans-Rudolf Pfeffer, der bei WACKER die Anwendungstechnik für Siliconkautschuke leitet, die im Formenbau eingesetzt werden.

„Nicht jedes Trennmittel passt zu jedem Silicon.“

Brigitte Frank - Leiterin der Abteilung Maske bei den Kammerspielen

WACKER sponsert Silicon

ELASTOSIL ® FX 20 gehört zu einem Baukastensystem von vier speziellen Siliconkautschuken plus diversen Additiven, das WACKER speziell für die Special-Effects-Industrie entwickelt hat. Beteiligt an dessen Entwicklung waren die Maskenbildner der Münchner Kammerspiele, die WACKER immer wieder Rückmeldungen gaben und so dazu beitrugen, dass die Silicontypen speziell nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet wurden. Im Gegenzug stellt WACKER den Kammerspielen das Silicon für verschiedene Projekte – für das Positiv der Figur rund 40 Kilogramm – kostenlos zur Verfügung. „Die Kollegen der Kammerspiele verfügen über ein sehr hohes Anwendungs-Knowhow. Das ist für beide Seiten eine echte Win-win-Situation“, betont Hans-Rudolf Pfeffer.

Dokumentiert wird dieses Knowhow in sogenannten Rezeptbüchern, die in den Wandregalen der Werkstatt stehen. „Unsere Bibel“ nennt Brigitte Frank diese Notizbücher. Wenn die Mitarbeiter mit Siliconen oder anderen Werkstoffen arbeiten, dann tragen sie dort alle verwendeten Materialien und die Rahmenbedingungen ein, bis hin zur Umgebungstemperatur oder Luftfeuchtigkeit – alles, was Einfluss auf die Vernetzung und die Beschaffenheit des Materials haben könnte.

Tommy Opatz hebt einen Unterarm aus Siliconkautschuk an und drückt ihn dem Besucher in die Hand. „Den Unterarm erstellen wir im Vollguss“, erklärt er, „Oberarme und Rumpf werden dagegen mit Polyurethan ausgeschäumt, weil der Körper ansonsten zu schwer werden würde.“ Die Erstellung des eigentlichen Ganzkörperabgusses ist noch einmal eine echte Geduldsarbeit. Sieben bis neun Stunden veranschlagen die Maskenbildner dafür. Und das ist noch lange nicht das Ende der Arbeit. Weitere Schritte folgen: Eine Perücke wird angefertigt, der Kopf ausgegossen und auf den Körper montiert. Die Nahtstellen werden sehr aufwändig „gepatcht“ (englisch: patchen), allein dies dauert drei bis vier Tage. Schließlich folgt die Kolorierung: Zwar wird die Siliconmasse in einer Hautfarbe eingestellt, aber um möglichst realitätsnah zu wirken, muss die Kopie nach der Aushärtung von Hand bemalt werden. Allerdings haftet auf Siliconkautschuk wegen seiner niedrigen Oberflächenspannung nur Spezialfarbe, nämlich stark verdünnte Siliconkautschuke, die mit Pigmenten versehen sind.

Augenbrauen werden in Siliconkörper eingestochen

In minutiöser Detailarbeit stechen die Maskenbildner Haare und Augenbrauen in den Siliconkörper ein.

Wenn erst die Pigmentierungen von Hand aufgemalt und die Haare eingestochen sind, ist die Kopie vom echten Körper der Schauspielerin kaum noch zu unterscheiden.

Mit Pinsel, Schwamm und Airbrush bringen die Maskenbildner, teils tupfend, teils lasierend, auf den zuvor homogenfarbigen Siliconkörper all die Altersflecken, Pigmente, Blutgefäße usw. auf, die in ihrer Vielzahl und fehlenden Perfektion einen Menschen erst zum Menschen machen. Für die aktuelle Produktion bringen sie auch am Rücken Verletzungen und aufgerissene Hautteile an. Danach wird die Perücke montiert und die Körperbehaarung gestochen. Dafür stechen die Fachleute einzelne Haare in das Silicon ein. Darüber hinaus entwickelten die Maskenbildner spezielle Siliconaugen, die nicht auf dem Markt erhältlich sind. „Glasaugen brechen und Augen aus konventionellem Kunststoff sind wahnsinnig teuer – da haben wir nach einer Alternative gesucht“, sagt Brigitte Frank.

Wenn schließlich der originalgetreu nachgeformte Körper von Florentina Holzinger auf der Bühne der Münchner Kammerspiele gezeigt wird, dann haben die Maskenbildner mehrere Hundert Stunden Arbeitszeit damit verbracht. Die Liebe zum Detail und der unbedingte Wille zur Perfektion sind Voraussetzung für diese Arbeit, ebenso wie künstlerisches Gespür, handwerkliches Geschick und ein naturwissenschaftlich-technisches Grundverständnis.

„Diese Aufgabe war eine echte Herausforderung. Die Planung, die Kombination und der Einsatz der verschiedenen Materialien und Shore-Härten haben unserem Team einen Riesenspaß gemacht“

Brigitte Frank - Leiterin der Abteilung Maske bei den Kammerspielen

Baukastensystem für die Specialeffects-Industrie

WACKER bietet ein Baukastensystem von vier verschiedenen Siliconkautschuken für die Special-Effects-Techniker von Film und Theater an, das den größten Teil der Anwendungen abdeckt. Die vier Typen unterscheiden sich in ihren Shore-Härten:

  • ELASTOSIL® FX 10 (Shore-Härte A10)
  • ELASTOSIL® FX 20 (Shore-Härte A20)
  • ELASTOSIL® FX 28 (Shore-Härte A28)
  • ELASTOSIL® FX 30 Gel (Shore-Härte 00/30, sehr weich)

FX 28 wird meist als Formenmaterial für die Erstellung von Bühnen- und Filmdekorationen, aber auch für sogenannte Master Molds verwendet. Die weicheren Typen dienen unter anderem zur Herstellung von Körperteilen und für Spezialeffekte, zum Beispiel Wundimitate. Mit FX Softener liefert WACKER zudem ein Additiv, das es dem Kunden erlaubt, die Shore-Härte für jede der vier Typen perfekt auf den gewünschten Special Effect einzustellen.

Weitere Additive in dem Baukastensystem sind

  • FX Slow,
    um die Verarbeitungszeit zu verlängern,
  • FX Fast,
    um die Vernetzung zu beschleunigen,
  • FX Thixo,
    um die Standfestigkeit der Kautschukmasse zu erhöhen, damit sie auf vertikalen Flächen nicht abläuft.

Kontakt

Mehr Informationen zum Thema erhalten Sie von

Frau Andrea Bogner
Senior Marketing Manager
Industrial Solutions WACKER SILICONES
+49 89 6279-1375
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