mRNA

Biotechnologie

WACKER baut in Halle ein mRNA-Kompetenzzentrum

18.10.2022 Lesezeit: ca. MinutenMinute

Mit mRNA gegen den Krebs

Impfstoffe auf mRNA-Basis haben die Menschheit während der Covid-19-Pandemie vor Schlimmerem bewahrt. Doch mRNA-Therapeutika schützen nicht nur vor Virusinfektionen, sondern haben auch große Potenziale in der Tumortherapie. In Halle baut WACKER jetzt ein mRNA-Kompetenzzentrum – zusätzlich zu den bestehenden drei Standorten in Deutschland, den Niederlanden und Kalifornien.

mRNA-Kompetenzzentrum

In Edelstahltanks, sogenannten Fermentern, produzieren Bakterien bei Wacker Biotech in Halle Pharmaproteine. Mit dem Ausbau zum mRNA-Kompetenzzentrum, das 2024 in Betrieb gehen wird, kommt eine neue Technologie an den Standort.

Bis vor wenigen Jahren waren mRNA-Therapeutika nur in Fachkreisen bekannt. Heute kennen die meisten Menschen zumindest den Begriff. Der Grund: das Coronavirus. „Der hohe Bedarf an neuen und vor allem schnell verfügbaren Impfstoffen hat das Potenzial dieser Technologie gezeigt. Die Biopharmazeutika-Branche hat einen riesigen Schub bekommen“, sagt Dr. Guido Seidel, Geschäftsführer von Wacker Biotech. Er vergleicht die Situation mit dem Höhenflug der Antikörper vor wenigen Jahrzehnten: „In den 1980er-Jahren gab es viele Skeptiker, die der Technologie jegliches Potenzial absprachen. Heute gehören hochspezifische Antikörper zur Standardtherapie bei vielen Krankheiten.“

mRNA-Kompetenzzentrum

Mit dem Bau des mRNA-Kompetenzzentrums in Halle – hier der Entwurf – werden sich die Produktionskapazitäten an dem Standort mehr als verdreifachen.

Mit der mRNA-Technologie sei man aktuell an einem ähnlichen Punkt, so Seidel weiter. Der sogenannte Proof of Concept sei geschafft. Ob die Technologie in anderen Indikationen wirkt, muss erst noch gezeigt werden. Doch Seidel ist zuversichtlich: „In 20, 30 Jahren werden wir viele Erkrankungen mit mRNA-basierten Medikamenten behandeln oder gar verhindern können.“

Mehr Forschung, mehr Bedarf, mehr Geschäft – bei WACKER nutzt man den aktuellen Anstieg der Nachfrage und hat sich entschieden, den Standort der Wacker Biotech GmbH in Halle zu einem mRNA-Kompetenzzentrum auszubauen. Wacker Biotech bündelt als Tochterunternehmen die Biopharma-Aktivitäten der WACKER-Gruppe. Anfang Juli 2022 war Spatenstich. Innerhalb von zwei Jahren wird in der Händelstadt in Sachsen-Anhalt das neue Produktionsgebäude entstehen, in dem zukünftig rund 200 Beschäftigte arbeiten. Geplant sind vier Produktionslinien, an denen ausschließlich mRNA-Biopharmazeutika hergestellt werden. Damit wird Wacker Biotech, gerechnet auf seine bisherigen vier Standorte in Jena, Halle, Amsterdam (NL) und San Diego (USA), seine Produktionskapazitäten vervielfachen. „Medizinische Biotechnologie ist heute aus der Behandlung von Patienten nicht mehr wegzudenken. Fast die Hälfte aller neu zugelassenen Medikamente sind mittlerweile Biopharmazeutika“, betont Seidel. Der Anteil an mRNA-Therapeutika, davon gehen Experten aus, dürfte weiter zunehmen.

„Medizinische Biotechnologie ist heute aus der Behandlung von Patienten nicht mehr wegzudenken.“

Dr. Guido Seidel, Geschäftsführer von Wacker Biotech

Dr. Guido Seidel

Neues Kompetenzzentrum für mRNA-Wirkstoffe in Halle

Mit einem symbolischen Spatenstich hat der Ausbau am Weinberg Campus begonnen. In den kommenden Monaten entsteht hier ein Kompetenzzentrum für Wirkstoffe auf Basis von Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA). Zahlreiche Gäste aus Politik und Wirtschaft waren bei der Zeremonie dabei: (v. l.) Michael Zorn vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt, Egbert Geier, Bürgermeister der Stadt Halle, Melanie Käsmarker, Geschäftsführerin der Wacker Biotech GmbH, Sven Schulze, Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Christian Hartel, Vorstandschef der Wacker Chemie AG, Armin Willingmann, Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt, Wolfgang Büchele, CEO von Exyte, Guido Seidel, Geschäftsführer der Wacker Biotech GmbH, Ulf-Marten Schmieder, Geschäftsführer des Technologieparks Weinberg Campus, und Joachim Bug, stellvertretender Leiter des ZEPAI (Zentrum für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika).

Impfung mit mRNA

mRNA-basierte Vakzine erfordern ein spezielles Handling und dürfen erst kurz vor der Verabreichung aufgetaut werden.

Detailgetreuer Bauplan

Den Grundstein dafür legte die Impfstoffentwicklung während der aktuellen Pandemie. Innerhalb weniger Monate entwickelten mehrere Biotechnologieunternehmen Vakzine gegen das SARS-CoV-2-Virus. Wesentlicher Bestandteil: mRNA. Die Abkürzung steht für messenger RNA, zu Deutsch: Boten-Ribonukleinsäure. Während bisherige Impfstoffe meist aus Viruspartikeln oder zumindest Bruchstücken davon zusammengesetzt sind, nehmen mRNA-Impfstoffe einen gewissen Umweg: Sie bestehen aus einem detailgetreuen Bauplan spezieller Eiweiße des Erregers, auch Antigene genannt. Beim Corona-Virus ist das beispielsweise das Spike-Protein, das wie kleine Pfeile aus der Oberfläche des Virus ragt und ihm sein markantes Aussehen verleiht. Verpackt in eine fetthaltige Hülle wird die genetische Botschaft in die Muskelzellen an der Einstichstelle geschleust. Die Zellen bauen das Corona- Eiweiß, präsentieren es der Immunabwehr, die das Antigen als fremd erkennt und Antikörper, spezielle Abwehrstoffe, dagegen bildet. Für den Fall, dass er sich eines Tages tatsächlich mit dem Erreger infiziert, ist der Körper gewappnet und kann den Eindringling wirksam bekämpfen.

Um zu verstehen, was das Besondere an mRNA ist, ist ein Blick in den Zellkern notwendig. Hier wird die DNA gespeichert, die die menschliche Erbinformation enthält. Sie birgt alle Informationen für den Bauplan des Körpers. Jedes Gen kodiert für ein Eiweiß. Die Gene bestimmen die Merkmale eines Lebewesens. Seit etwa 60 Jahren ist klar, dass Zellen eine Kopie der Gene anfertigen, um die Information in ein Protein zu übersetzen: Immer, wenn der Körper ein bestimmtes Eiweiß braucht, wird das gewünschte Gen in eine mRNA übersetzt. Die mRNA überbringt den Bauplan für das Eiweiß aus dem Zellkern den Ribosomen. Die Proteinfabriken der Zellen stellen dann das gewünschte Eiweiß her. Die DNA verbleibt somit im Zellkern und ist geschützt.

Große Mengen in kurzer Zeit

Mit den mRNA-Impfstoffen ist es nun erstmals gelungen, Therapeutika auf mRNA-Basis im großen Stil herzustellen. Mehr als zwölf Milliarden Impfungen weltweit bis Juni 2022 zeigen, dass mRNA-Vakzine effektiv wirken, gut verträglich und effizient zu produzieren sind. Viele waren erstaunt, wie schnell die passenden Impfungen in großen Mengen zur Verfügung standen. Möglich wurde die rasche Entwicklung, weil viele Grundlagen für mRNA-Impfstoffe bereits gelegt waren, betont Seidel, selbst Biochemiker und seit über zwanzig Jahren vertraut mit der Erforschung und Herstellung von Biopharmazeutika: „Dass das jetzt so schnell ging, liegt daran, dass sich die mRNA der Spike-Sequenz im Vergleich zu Krebstherapeutika, an denen Firmen bis dato intensiv geforscht hatten, relativ schnell entwerfen, designen und synthetisieren lässt.“

Dass aus dieser Erfahrung viele Ideen für weitere Impfungen nach dem gleichen Prinzip entstanden, ist die logische Folge: Das US-Biotech-Unternehmen Moderna arbeitet unter anderem an einem Vierfach-Impfstoff gegen das Grippe-Virus Influenza. Zukünftig will das Unternehmen gar eine Art „Herbstspritze“ kreieren, die mehrere Impfstoffe gegen verschiedene Atemwegserkrankungen wie Covid-19, Influenza und RSV kombiniert.

Vieles spricht dafür, dass mRNA-Therapeutika zukünftig auch bei anderen Indikationen ihre Verwendung finden werden. Biontech-Gründer Ugur Sahin etwa geht für sein Unternehmen von mehreren Produkteinführungen im Kampf gegen Krebs und Infektionserkrankungen in den nächsten drei bis fünf Jahren aus. „Man kann mRNA überall da einsetzen, wo im Körper Eiweiße fehlerhaft funktionieren oder wo man Eiweiße braucht, um das Immunsystem zu aktivieren, etwa bei der Impfung gegen Corona – aber auch gegen Krebs“, sagt Seidel. Mögliche weitere Einsatzgebiete von mRNA-Therapeutika könnten Autoimmunerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die regenerative Medizin sein.

Subtyp H3N2 des Influenza-A-Virus

Der Subtyp H3N2 des Influenza-A-Virus war Ende der 1960er-Jahre für die sogenannte Hongkong-Grippe verantwortlich – eine Pandemie, die nach verschiedenen Schätzungen ein bis vier Millionen Tote forderte.

„Man kann mRNA überall da einsetzen, wo im Körper Eiweiße fehlerhaft funktionieren.“

Dr. Guido Seidel, Geschäftsführer von Wacker Biotech

Besonders in die Krebsbehandlung setzen die Entwickler große Hoffnung. Die Herausforderung einer Krebsimpfung ist, dass Krebszellen sich oft tarnen und so der Zerstörung durch das Immunsystem entgehen. Die mRNA-Impfung soll die körperliche Abwehr dazu bringen, Tumorzellen wieder als „fremd“ zu erkennen und effektiv zu bekämpfen. Dafür enthält die mRNA-Impfung die Baupläne wichtiger Bestandteile des individuellen Tumors, etwa ein Oberflächenprotein. Das dabei entstehende Protein oder Peptid aktiviert dann das Immunsystem, das die Krebszellen bekämpft. „Der Schlüsselschritt ist dabei, aus den Tumordaten schnell einen passenden Wirkstoff zu produzieren“, sagt Seidel. Dafür sei die mRNA prädestiniert, da man sie relativ schnell designen und produzieren kann.

Wie so häufig bei der Entwicklung neuer Medikamente sind viele Akteure wichtig: Während Pharmaunternehmen die Forschung vorantreiben, sorgen Auftragshersteller wie Wacker Biotech dafür, dass die neuen Wirkstoffe auch in größeren Mengen produziert werden können. Als Contract Development and Manufacturing Organization (CDMO) produziert das Unternehmen im Auftrag von Pharmafirmen oder Biotech-Unternehmen Wirkstoffe für den Markt und für die klinische Prüfung. „Die schnellen Erfolge in der Vakzin-Herstellung wären ohne Firmen wie uns kaum möglich“, sagt Seidel. Als Full-Service-Produzent von Biologics besitzt Wacker Biotech eine 20-jährige Erfahrung im Bereich mikrobieller Systeme. Zu den Kernkompetenzen gehören die Herstellung von Pharmawirkstoffen, Lebendbakterien und Impfstoffen – zuletzt auch auf mRNA-Basis. Das Tochterunternehmen der Wacker Chemie AG hat über die Jahre einen internationalen Kundenstamm aufgebaut. Das Geschäft wächst stetig.

Qualitätskontrolle

Von der Entwicklung bis zur Abfüllung: Am Biotech-Standort in Amsterdam können Wirkstoffe fertig abgefüllt werden, bevor sie an Kunden geliefert werden. Im letzten Schritt werden die Fläschchen einer Qualitätskontrolle unterzogen.

Wacker Biotech US Inc. in San Diego

Als Auftragshersteller betreibt Wacker Biotech US Inc. in San Diego eine spezialisierte Fermentationslinie zur Herstellung und Aufreinigung von Plasmid-DNA.

Potenzial früh erkannt

Das Potenzial von mRNA-Therapeutika hat das Biotech-Unternehmen schon früh erkannt: „Seit 2018 bauen wir intensiv Expertise und Produktionskapazitäten für mRNA-Therapeutika aus“, sagt Seidel. Die verschiedenen Standorte decken dabei verschiedene Spezialgebiete der Herstellungsprozesse ab: In Amsterdam weiß man zum Beispiel, wie die hochsensiblen Moleküle in winzige Lipidkügelchen verpackt werden. In San Diego wird Plasmid-DNA hergestellt, der Rohstoff von mRNA-Therapeutika.

Schließlich entschloss sich WACKER, seine mRNA-Kompetenzen an einem Standort zu bündeln: „Gemeinsam mit unserem Partner CordenPharma werden wir in Halle zukünftig den gesamten Herstellungsprozess von mRNA-Wirkstoffen abdecken“, sagt Seidel. Während Wacker Biotech die Herstellung der mRNA auf Basis von Plasmid-DNA sowie die Formulierung des mRNA-Wirkstoffs mit Lipid-Nanopartikeln (LNP) übernehmen wird, soll CordenPharma die Lipide für die LNP-Formulierung herstellen und die sterile Abfüllung und Verpackung des mRNA-Impfstoffs übernehmen.

Dafür werden in Halle vier neue Produktionslinien entstehen. Etwa die Hälfte der Herstellkapazitäten stellt das Unternehmen der Bundesregierung im Rahmen der Pandemiebereitschaftsverträge zur Verfügung. Dabei würde das Konzept der „warm facility“ verfolgt, sagt Seidel: „Die Anlagen laufen, sind gewartet und komplett in Bereitschaft. Sollten wir den Auftrag von der Bundesregierung bekommen, mRNA-Impfstoffe herzustellen, können wir innerhalb kurzer Zeit anfangen zu produzieren.“ Das Ziel ist es, auf eine zukünftige Pandemie optimal vorbereitet zu sein und damit Lieferengpässe, wie sie zu Beginn der Corona- Pandemie auftraten, zu vermeiden. Dass WACKER im Bedarfsfall mRNA-Impfstoffe für die Bundesregierung herstellt, erfüllt Seidel mit Stolz: „Wir sind wirklich froh, dass wir über all die Jahre hinweg in diese Technologie investiert haben – und jetzt ganz vorne mitspielen.“

Im Bedarfsfall werden Wacker Biotech und CordenPharma Deutschland mit 80 Millionen Impfstoffdosen pro Jahr versorgen können. Die übrigen Produktionskapazitäten in Halle sollen mRNA-Therapeutika im Kundenauftrag herstellen. Ab Mitte 2024 könnten die ersten Produkte aus der Hallenser Anlage kommen. Schon heute streckt Wacker Biotech seine Fühler nach Kunden aus, die zukünftig in Halle produzieren könnten. Seidels Traum? Mit dabei zu sein, wenn man zukünftig mit der neuen Technologie auch Krebserkrankungen heilen wird. „Es ist eine spannende Vorstellung, dass wir eines Tages dazu beitragen könnten, Tumore in unterschiedlichsten Krebsindikationen besser zu bekämpfen und Patienten gezielt zu heilen.“

Kontakt

Mehr Informationen zum Thema erhalten Sie von

Frau Manuela Dollinger
Manager Media Relations & Informations

+49 89 6279-1629
Nachricht senden