Herstellung von mechanisch und thermisch hochbelastbaren Kunststoff-Formteilen im Spritzguss durch innovative Siliconharz-Bindemittel
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Hitzebeständig bis 220 Grad Celsius
Mit innovativen Siliconharz-Bindemitteln ermöglicht es WACKER der Industrie, künftig auch im Spritzguss mechanisch und thermisch hochbelastbare Kunststoff-Formteile herzustellen und betritt damit echtes Neuland.
Ein wenig Stolz ist der Stimme von Dr. Jens Lambrecht aus der WACKER Anwendungstechnik schon anzuhören: „Mit unserer neuen Materiallösung betreten wir echtes Neuland“, betont der Elektroingenieur. Zwar verwenden Industrie und Handwerk schon jetzt Siliconharze, um damit Formteile herzustellen, die auch bei sehr hohen Temperaturen stabil und mechanisch hochbelastbar sind und zudem elektrisch isolierende Eigenschaften haben. Solche anspruchsvollen Formteile werden in der elektrischen Isoliertechnik für zukünftige innovative Anwendungen benötigt, wie sie derzeit in Entwicklung sind – etwa für Elektroautos, um deren Nabenmotoren zu schützen.
Bislang stellen die Verarbeiter zunächst halbfertige Teile her, indem sie Vorprodukte mit Siliconharz-Bindemitteln laminieren und diese dann nachträglich bearbeiten, um sie in Form zu bringen. „Laminate aus Siliconharz und Glas- oder Kohlefaser zu fertigen, sie zu verpressen und dann mechanisch zu bearbeiten – das bedeutet viel Aufwand und produziert viel Verschnitt, viel Abfall“, weiß Jens Lambrecht.
„Der bisherige Prozess produzierte viel Verschnitt, viel Abfall.“
Dr. Jens Lambrecht, Elektroingenieur WACKER-Anwendungstechnik
Eine direkte, weniger aufwendige Formgebung – etwa durch Spritzgießen – scheiterte bislang sowohl an geeigneten Bindemitteln als auch an den ungenügenden mechanischen Eigenschaften der ausgehärteten Siliconharzmassen. Und konkurrierende Werkstoffe, die in eine ähnliche Hitzebeständigkeitsklasse kommen – wie PTFE (Polytetrafluorethylen), bekannt als Teflon™, und PEEK (Polyetheretherketon) – sind kompliziert zu verarbeiten oder es mangelt ihnen an den nötigen Duroplast-Eigenschaften.
Mit SILRES® LR 700 beziehungsweise POWERSIL® Resin 700 rückt nun auch für hochtemperaturbeständige Formteile eine effiziente und kostengünstige Verarbeitung in Reichweite. „Mit diesen beiden Siliconharzen bringen wir Werkstoffe auf den Markt, die ähnlich leicht zu verarbeiten sind wie beispielsweise Polyurethan- oder Epoxidharze – Kunststoffe, die in der Produktion thermisch geringer beanspruchter Bauteile weit verbreitet sind“, betont Lambrecht.
Dem WACKER-Chemiker Dr. Frank Sandmeyer, der für die Entwicklung des zugrunde liegenden Siliconharzes verantwortlich war, ist es gelungen, auf geschickte Weise sogenannte Phenylgruppen in das Polysiloxan-Gerüst einzubauen. Dadurch reduziert sich die Sprödigkeit der ausgehärteten Siliconformteile deutlich. „Gefordert war ein flüssiges, leicht zu handhabendes Siliconharz mit ausgeprägter Hitzebeständigkeit, das zudem relativ reaktiv sein sollte“, erinnert sich Dr. Sandmeyer an das Lastenheft, das ihm bei der Entwicklung vorgelegt wurde.
Für hohe mechanische Festigkeiten sorgen wiederum entsprechende Füllstoffe. Dr. Jens Lambrecht aus der WACKER-Anwendungstechnik und Technologiemanager Dr. Markus Winterer haben in zahlreichen Versuchsreihen mit hochdisperser Kieselsäure, Quarz und Glasfasern eine erste optimierte Füllstoffmischung entwickelt. Das flüssige Siliconharz, die Füllstoffmischung und ein Peroxid als Vernetzer bilden die Bestandteile des compoundierten POWERSIL® Resin 710 – ein Angebot an Anwender, die auf eine gebrauchsfertige Materiallösung zugreifen möchten.
Die neue Siliconharz-Technologie ist zugleich eine vorteilhafte Alternative zu hochtemperaturfesten Polymeren wie PTFE und PEEK. Beispielsweise lässt sich PTFE nicht durch Spritzguss verarbeiten, sondern muss gepresst oder bei Temperaturen von über 360 °C gesintert werden. Ähnlich hoch liegen die Temperaturen beim Spritzguss von PEEK. Die Vernetzung des Siliconharzes im POWERSIL® Resin 710 läuft dagegen schon bei rund 160 °C ab.
„Mit dieser Innovation geben wir eine Antwort auf den steigenden Bedarf der Industrie an hochtemperaturfesten Polymeren“, erklärt Jens Lambrecht. Weil technische Systeme ständig leistungsfähiger und zugleich aber auch kleiner werden, setzten sie pro Volumeneinheit mehr Wärme frei. Ein Beispiel dafür liefern wiederum Elektromotoren in Automobilen. Elektrisch isolierende, polymere Bauteile, die sich in oder in der Nähe solcher Wärmequellen befinden, sollen mehrere Jahre ihre Funktion einwandfrei erfüllen und müssen bei den auftretenden hohen Temperaturen ihre Eigenschaften beibehalten.
„Wir haben eine sogenannte Phenylgruppe in das Polysiloxangerüst des Siliconharzes eingebaut. Dadurch reduziert sich die Sprödigkeit der ausgehärteten Siliconformteile deutlich.“
Dr. Frank Sandmeyer, Chemiker für WACKER-Siliconharze
Tests zeigen thermische Belastbarkeit des Siliconharzes
Um die thermische Belastbarkeit von Formteilen aus POWERSIL® Resin 710 zu ermitteln, wurden die Proben bei verschiedenen Temperaturen eingelagert. Später maßen die WACKER-Techniker, wie sich die Masse des Bindemittels mit der Zeit und abhängig von der Lagertemperatur prozentual veränderte. Nach einem standardisierten rechnerischen Verfahren extrapolierten sie daraus die Wärmeklasse als Maß für die Dauergebrauchstemperatur. Das Ergebnis dieses beschleunigten thermischen Alterungsverfahrens: Die aus diesen Siliconharzen hergestellten Formteile erfüllten die Anforderungen an die Wärmeklasse R, halten also Temperaturen von bis zu 220 °C stand.
WACKER testete außerdem das Verhalten von Probekörpern aus POWERSIL® Resin 710 bei häufigen Deformationen. Bei diesen Probekörpern handelt es sich um acht Zentimeter lange, einen Zentimeter breite und vier Millimeter dicke Stäbchen, die nur an ihren zwei Enden aufliegen. Der Dorn einer Testapparatur drückt mit definierter Kraft auf die Mitte der Stäbchen – immer und immer wieder. Das Resultat: Bei sehr starker Verformung hält das Material mehrere Hundert Zyklen aus, bei schwacher Verformung viele Zehntausend.
Die neuen Bindemittel enthalten reaktive Doppelbindungen, die in Gegenwart eines Katalysators vernetzende Ethylenbrücken bilden. Kunden, die mit den neuen flüssigen Siliconharz-Bindemitteln eine eigene Technologie zur Produktion von Formteilen aufbauen möchten, können neben der Vernetzung mit Peroxiden auch eine sogenannte Additionsvernetzung in Betracht ziehen, wie man sie typischerweise bei Flüssigsiliconkautschuk anwendet.
„Mit dieser Innovation geben wir eine Antwort auf den steigenden Bedarf an hochtemperaturfesten Polymeren.“
Dr. Jens Lambrecht, Elektroingenieur WACKER-Anwendungstechnik
„Eine solche Verarbeitungstechnologie bietet zwei Vorteile“, listet WACKER-Entwickler Jens Lambrecht auf. „Sie lässt sich bei niedrigeren Temperaturen einsetzen und die Geschwindigkeit, mit der das Harz vernetzt, kann durch Variation der Temperatur reguliert werden.“
Wie immer bei solchen Produktentwicklungen beginnen die Chemiker und Ingenieure mit einem Batchansatz im Labormaßstab, um erste Muster für interne Tests und für potenzielle Kunden zu generieren. Angesichts des sehr positiven Feedbacks, das die Entwickler intern wie extern auf das herausragende Eigenschaftsprofil der beiden Siliconharze-Bindemittel erhielten, stellte sich nun die Herausforderung, möglichst schnell ein kontinuierliches Herstellungsverfahren zu entwickeln.
Für die Aufgabe – nämlich den Prozess nach oben zu skalieren – ist bei WACKER SILICONES der Bereich Technology Management zuständig, in diesem speziellen Fall das Labor Alkoxy/P-Harze von Dr. Georg Lössel. Der Fokus in dieser Entwicklungsphase liegt nun darauf, mittels eines kontinuierlichen Prozesses, auch in der Phasentrennung und der Produktwaschung, ein effizientes Herstellungsverfahren zu ermöglichen. Da sich der Mengendurchsatz, gemessen in produzierten Kilogramm pro Stunde, gegenüber einem Batchansatz sehr deutlich erhöht – um den Faktor fünf bis zehn – profitieren auch zukünftige Kunden von einem solchen, sauber skalierten Prozess. „Damit haben wir die Grundlagen geschaffen, um den aktuell betriebenen Scale-up zur Herstellung dieser Siliconharze in drei Stufen durchführen zu können – vom Labor über unser Technikum bei WACKER SILICONES bis zum großtechnischen Prozess“, sagt Laborleiter Georg Lössel.
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