Die Wiederbelebung der Belle Époque im Casino von Arad
01.10.2019 Lesezeit: ca. MinutenMinute
Zurück zum Original
Mit Siliconkautschuk von WACKER formen Restauratoren den üppigen Ornamentschmuck des alten Casinos von Arad ab, um beschädigte Bauteile durch originalgetreue Kopien zu ersetzen. Die westrumänische Stadt bekommt damit einen Ort zurück, der im Leben vieler Einwohner eine wichtige Rolle gespielt hat.
Annamaria Baciu hat in Florenz einige Monate an der Restauration von Fresken des berühmten mittelalterlichen Künstlers Giotto mitgearbeitet. Nun ist sie wieder in ihrer rumänischen Heimat tätig, zurzeit in Arad, einer westrumänischen Stadt mit fast 160.000 Einwohnern an der Grenze zu Ungarn. „Das Casino, an dem wir jetzt arbeiten, ist kein Giotto“, sagt sie. Es stehe zwar unter Denkmalschutz, aber nicht auf der Liste der Baudenkmäler von herausragender lokaler Bedeutung. „Dennoch ist dieser Ort für die Menschen in Arad wichtiger als ein Bauwerk von Giotto.“
„Das alte Casino war der populärste Ort in Arad“, erzählt Prof. Baciu weiter. „Im Sommer saßen die Familien auf der Terrasse, um Limonade und Bier zu trinken; im Winter war vor dem Casino eine Eislaufbahn angelegt, und auch viele Hochzeiten wurden hier gefeiert.“
Arad liegt im äußersten Westen Rumäniens, an der Grenze zu Ungarn.
Blütezeit unter den Habsburgern
Das neobarocke alte Casino-Gebäude aus dem Jahr 1872 liegt am Fluss Mureș und ist umgeben von schönen Gründerzeitgebäuden, die aus der Blütezeit der Stadt im 19. Jahrhundert stammen. Damals lebten in Arad Rumänen, Ungarn, Deutsche, Serben und Juden unter der Herrschaft der Habsburger und vergnügten sich im Casino beim Roulette und Kartenspielen. Während der kommunistischen Ära war in dem Bau eine Bar untergebracht.
Nach der politischen Wende von 1989 verfiel das Gebäude zunehmend; einige Jahre lang war im Obergeschoss ein chinesisches Restaurant untergebracht, dessen Pächter wenig sensibel mit dem neobarocken Stuck und den Ornamenten umgingen.
„Das Casino hatte viele Besitzer, gute und nicht so gute“, erzählt Annamaria Baciu. Schließlich wurde das alte Casino auf einer öffentlichen Auktion an einen Unternehmer aus Arad versteigert. Dessen Firmengruppe Arsat Industrie stellt unter anderem Metallteile für die Flugzeug- und Autoindustrie her. Dieser Unternehmer wollte seiner Heimatstadt den Ort zurückgeben, der einen ganz besonderen Platz im Gedächtnis vieler Arader hat. Er beauftragte Annamaria Baciu mit der Restaurierung der historischen Bausubstanz. Künftig soll das Gebäude als Veranstaltungszentrum genutzt werden – ein glanzvoller Ort, den Unternehmen, aber auch Privatleute anmieten können.
Vorsichtig tragen die Restauratoren die vielen Schichten der vergangenen Jahrzehnte ab und bringen die Originalsubstanz wieder zur Geltung.
Koryphäe der Restauration
Bei Prof. Baciu sind historische Gebäude in besten Händen. Die studierte Kunsthistorikerin hat 25 Jahre Restaurierungsmethoden an den wichtigsten rumänischen Universitäten in Bukarest und Cluj-Napoca gelehrt, und gilt nicht nur in ihrem Heimatland als Koryphäe für die Restaurierung von Wandmalereien. Seit dem Frühjahr 2019 lässt sie ihre Mitarbeiter die verschiedenen Schichten abtragen, die in den vergangenen 150 Jahren dem Original hinzugefügt wurden. Allein an der Fassade fanden sich zwischen fünf und acht Farbschichten, zum Fluss hin sogar mehr, weil es dort, in der schwülwarmen Luft am Rande der ungarischen Tiefebene, feuchter ist und ein Anstrich schneller verschleißt. An der Decke und in den Innenräumen kamen die unterschiedlichsten Farben und Baustoffe zum Vorschein, Orange, Weiß und Grün, Gips, Beton und Zement, Kunststoffe und allerlei traditionelle Werkstoffe.
Annamaria Baciu mit einer Negativform aus Silicon. Das Material gibt auch kleinste Details des Originals hervorragend wieder und ermöglicht so Kopien von hoher Qualität.
„Nichts davon war werkgetreu, nichts davon war professionell ausgeführt“, sagt Annamaria Baciu. Die letzten 100 Jahre – die Weltkriege, die wirtschaftliche Misere der Zwischenkriegszeit, die 40 Jahre kommunistischer Herrschaft und zuletzt der schnelle Aufbruch in die Marktwirtschaft mit ihren vielen neuen und nicht immer passenden Baustoffen – hatten vom Casino in Arad einen hohen Tribut gefordert. „Wir befreien das Original von vielen verschiedenen Schichten aus verschiedenen Zeiten und Materialien und transformieren den Entwurf des Architekten in die heutige Zeit“, erklärt Prof. Baciu.
Fülle von Ornamenten
Der neobarocke Stil zeichnet sich durch eine schwelgerische Fülle von Ornamenten im Innen- und Außenraum aus. Grundsätzlich folgen die Restauratoren dem Gedanken der Denkmalpflege, so viel Originalsubstanz wie möglich zu erhalten.
Primum non nocere – zuerst einmal nichts beschädigen, sei ihr Grundsatz, abgeleitet von den Prinzipien des Hippokrates, sagt Annamaria Baciu. „Man braucht nur wenige Sekunden, um Jahrhunderte zu zerstören.“ Vorsichtig fährt die Kunsthistorikerin mit der Hand über ein Sonnenornament an der Wand, bei dem einzelne Teile herausgebrochen sind. „Nicht alle Ornamente sind beschädigt, aber viele“, berichtet Annamaria Baciu. Etwa 20 Prozent der Substanz müssen ersetzt werden – und hier kommt WACKER ins Spiel.
Vorsichtig nehmen die Restauratoren intakte Ornamente – Kapitelle mit pflanzlichen Motiven, kleine Säulen, Stuck in Blumenform – von der Fassade, der Decke und den Innenwänden ab. Dann wird mit Siliconkautschuk von WACKER eine Negativform hergestellt, die wiederum zur Anfertigung einer exakten Kopie aus dem Originalmaterial dient.
500 Kilogramm verwendet
Annamaria Baciu und ihre Mitarbeiter nutzen für die Abformung ELASTOSIL® M 4600 und 4630. Dies sind gießbare, bei Raumtemperatur vulkanisierende, additionsvernetzende Siliconkautschuk-Typen, die in zwei Komponenten ausgeliefert werden. Der Vernetzungsprozess beginnt, sobald die A- und die B-Komponente gemischt werden. Etwa 500 Kilogramm von diesem Material benötigt Bacius Team für das Casino. Findet die Abformung im vertikalen Bereich statt, kann auch noch der Stabilisator 43 von WACKER zugefügt werden, um die Kautschukmasse standfester zu machen. Die Produkte wurden von der Firma Contras als lokalem WACKER-Partner zur Verfügung gestellt.
„Ich habe an anderen Orten mit anderen Materialien gearbeitet. Aber Silicon war eine Liebe auf den ersten Blick. Es ist leicht anzumischen, leicht anzuwenden, es fühlt sich gut an und gibt die Details des Originals sehr gut wieder.“
Prof. Annamaria Baciu
Denn ihr ist es sehr wichtig, auch die Zeitspuren im Original – kleine Kratzer, winzige Bruchspuren – abzuformen, damit die Kopie hinterher nicht aussieht, als sei sie frisch im Baumarkt gekauft. Mit Pinsel und Spachtel tragen die Restauratoren den noch zähflüssigen Siliconkautschuk auf ein originales Sonnenornament auf. Der erste Arbeitsgang erfolgt mittels eines weiß eingefärbten Silicons, dann kommt eine blaue Schicht und schließlich im dritten Arbeitsgang wieder eine weiße Schicht.
„Wir arbeiten mit farbigem Kautschuk, um die verschiedenen Schichten sichtbar zu machen“, erklärt Annamaria Baciu. Für jede Schicht veranschlagt sie eine Trocknungszeit von einem Tag, um auf der sicheren Seite zu sein, danach ist die Form fertig. Zu den Vorteilen von Siliconen – im Gegensatz zu Polyurethan-Elastomeren, die ebenfalls für Abformungen verwendet werden – gehört, dass sie keine Trennmittel benötigen. Die Negativform lässt sich auch ohne diese Additive gut vom Original entfernen. Trennmittel sind deshalb unerwünscht im Abformprozess, weil sie zu Fleckenbildungen führen und den Wasserhaushalt der Reproduktion stören.
Ist die Negativform nach in der Regel drei Tagen angefertigt und ausgehärtet, geht es an die Erstellung einer sogenannten Stützform. Diese zweite – harte – Form ist nötig, um die erste – elastische – Form aus Siliconkautschuk zu stabilisieren. Die Stützform fertigen die Arbeiter je nach Bedarf aus Gips, Beton oder Epoxidharz, sogar mit Polyurethanschaum haben sie schon experimentiert.
Repliken aus römischem Zement
Viele Originalornamente bestehen aus Italian Stucco, einer Mischung aus Gips, Lehm und Sand in verschiedenen Proportionen; einige Säulen an der Fassade wurden auch aus Terracotta gebrannt. Die Repliken lässt Annamaria Baciu aus römischem Zement herstellen, bei dem es sich aber nicht um herrkömmlichen Zement handelt, sondern um einen traditionellen Baustoff aus Lehm, Sand und Kalkmörtel mit verschiedenen Additiven. Während sie die Kopie einer kleinen Säule in der Siliconform fertigen, mischen die Restauratoren zudem Stroh unter den römischen Zement – auch dies ist eine traditionelle Handwerkstechnik, die dazu dient, die Festigkeit eines Bauteils zu erhöhen.
Echten Zement, wie auch andere moderne Baustoffe, verwenden die Restauratoren in Arad nicht. „Häufig kommt es zu Problemen bei der Verträglichkeit der neu aufgetragenen Schicht mit dem ursprünglichen Steinmaterial“, berichtet Annamaria Baciu. Ihre Mitarbeiter probieren deshalb viel aus, entwickeln ihre eigenen Mischungen. „Restaurierung“, sagt sie, „ist permanente Forschung.“
Bis zum Herbst wollen die Restauratoren ihre Arbeit abgeschlossen haben, dann kann der Innenausbau zum modernen Veranstaltungszentrum beginnen. „Manche Paare in Arad haben eigens ihre Hochzeit verschoben, bis wir fertig sind“, sagt Annamaria Baciu und lacht. „Deshalb müssen wir uns beeilen.“
Siliconkautschuk für Architekturabformungen
Neben der Anwendung im Restaurierungsbereich werden WACKER-Siliconkautschuke auch für die Produktion neuer Bauelemente eingesetzt. Selbst komplizierte Strukturen und Oberflächen können mit ELASTOSIL® M äußerst detailgetreu abgeformt und aus Beton, Kunststein oder Gips reproduziert werden. Die Formen aus Siliconkautschuk weisen eine gute Alkalibeständigkeit auf und dank ihrer Langzeitbeständigkeit können sehr hohe Abformzahlen erreicht werden. Unsere additionsvernetzenden ELASTOSIL®-M-Produkte sind Industrie-Benchmarks in diesem Bereich.
Vorteile:
- Höchste Maßhaltigkeit/Schrumpffreiheit
- Trennmittelfreies Arbeiten
- Hohe Anzahl an Kopien für Beton, Kunststein oder Gips
Anwendungen:
- Fassadenelemente, dekorative Elemente
- Verblender für Innen- und Außenanwendungen
- Matrizen für das „Stempeln“ von Beton
- Randsteine und Bodenplatten
Kontakt
Mehr Informationen zum Thema erhalten Sie von
Frau Andrea Bogner
Senior Marketing Manager
Industrial Solutions WACKER SILICONES
+49 89 6279-1375
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