Ein Molekül macht Geschichte
Erfindungen in der Chemie bestehen selten nur aus einem Rohstoff. Meist benötigt man dafür eine Mischung aus Zufall, Neugier, Hartnäckigkeit und Mut. Das zeigt sich auch am Beispiel Vinylacetat: Vor 100 Jahren zunächst als „Reagenzglaskuriosum“ bewundert, ist VAM heute einer der wichtigsten Erfolgsbausteine für WACKER und zahlreiche Industrien, die Vinylacetat Co- und Terpolymere nutzen.
Anwendungsvielfalt von polymeren Bindemitteln
POLYMERS ist der zweitgrößte Geschäftsbereich von WACKER, Marktführer bei polymeren Dispersionspulvern und führend bei Vinylacetat-Ethylen-Dispersionen (Angaben in Grafik in Ca.-Prozent für das Jahr 2020)
Vinylacetat – Rohstoff für viele Industrien
Ob in Baustoffen, Farben, Vliesstoffen, Teppichen, Verpackungen, Composite-Anwendungen, Kunststoffen oder Straßenbelägen: Polymere Bindemittel und Additive von WACKER kommen in den unterschiedlichsten Industrien zum Einsatz. Für die Produktion werden dabei nur zwei Ausgangsstoffe benötigt: Essigsäure und Ethylen. Aus diesen beiden lässt sich Vinyl-Acetat-Monomer (VAM) herstellen – einer der Schlüsselrohstoffe für fast alle Verkaufsprodukte des Geschäftsbereichs POLYMERS.
1921: eine interessante Entdeckung
Begonnen hat diese Erfolgsgeschichte 1921 im „Consortium für elektrochemische Industrie“, der 1903 gegründeten Forschungseinrichtung von WACKER. Dort beschäftigte sich Dr. W. Haehnel eigentlich mit Versuchen zur thermischen Darstellung von Diacetat, als er herausfand, wie sich Vinylacetat auf wirtschaftlichem Weg herstellen lässt. Eine interessante Entdeckung – aber was sollte man damit anfangen? Synthetische Polymere waren damals bis auf Bakelit so gut wie unbekannt. Entsprechend ordnete man damals die Entdeckung wirtschaftlich als wenig vielversprechend ein.
Prognose 1921:
Die industrielle Herstellung von Vinylacetat wird 1,5 Tonnen monatlich nie überschreiten.
Fakt 2021:
Am Standort Burghausen produziert WACKER heute weit über 150.000 Tonnen pro Jahr.
1924: die ersten Polyvinylacetate
Umso erstaunlicher, dass im Consortium hartnäckig weiter geforscht wurde. Dass sich Vinylacetat „einfach“ polymerisieren lässt, hatte Fritz Klatte bei Griesheim-Elektron bereits 1912 entdeckt. Allerdings lief der Prozess so unkontrolliert und "explosiv" ab, dass man die Versuche und damit verbundenen Patente, u.a. für PVC, wieder aufgab. Dr. W.O. Hermann gelang es 1924, die Polymerisation durch Trennung der Reaktionsphasen sicher genug für eine Großanlage zu machen. Diese wurde 1928 in Burghausen gebaut und stellte 1930 die ersten Polyvinylacetate her: VINNAPAS® Festharze.
Zu den ProduktenBis heute unverzichtbar: VINNAPAS® Festharze
VINNAPAS® Festharze sind auch heute in vielen Anwendungen und Industrien unverzichtbar. Die Polyvinylacetate sind thermoplastisch, homogen, farblos, geschmacks- und geruchsneutral, ohne bekannte physiologische Risiken.
1935: Herstellung von Polyvinylchlorid (PVC)
In den kommenden Jahren entwickelte Dr. H. Berg das Suspensions-Polymerisationsverfahren für Polyvinylchlorid, das WACKER 1935 zum Patent anmeldete. VINNOL® Vinylchlorid Co- und Terpolymere sind bis heute Klassiker im Produktprogramm von WACKER.
Mehr zu VINNOL® Harzen1957: Ein neues Verfahren
Der große Durchbruch der VINNAPAS® Copolymere begann nach dem zweiten Weltkrieg. Insbesondere die Bauindustrie entdeckte den Nutzen von Polymerdispersionen in Mörteln, Putzen und Farben, allerdings war die Herstellung auf Basis von Calciumcarbid recht teuer. 1957 gelang es den Chemikern im Consortium, Acetaldehyd erstmals aus dem viel günstigeren Ethylen herzustellen. Dieses sogenannte 2. WACKER-Verfahren ist bis heute ein Meilenstein und Bestandteil aller Lehrbücher der organischen Chemie. Bei WACKER legte es den Grundstein für den heutigen Ethylenverbund. 1960 ging im WACKER-Werk in Köln die weltweit erste, großtechnische Produktionsanlage in Betrieb. 1978 folgte die Anlage in Burghausen, in der bis 2020 5 Millionen Tonnen Vinylacetat-Monomer produziert wurden.
Führend in vielen Industrien: VINNAPAS® Dispersionen und Dispersionspulver
Das Portfolio von WACKER umfasst eine Vielzahl von Polymerdispersionen einschließlich PVAc Homopolymeren und Vinylacetat-Ethylen (VAE)-Co- und Terpolymeren. Über die 1953 bei WACKER erstmals von Dr. M. Ivanovits entwickelte Sprühtrocknung werden auch polymere Dispersionspulver hergestellt, die insbesondere den Erfolg der Trockenmörtelindustrie mitbegründet haben.
Mehr zu VINNAPAS® Dispersionen Mehr zu VINNAPAS® Dispersionspulvern2022: VINNAPAS® eco mit Essigsäure aus nachwachsenden Rohstoffen
Nach 100 Jahren steht die Produktion von Vinylacetat (VAM) erneut vor einer Zeitenwende. In Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen des Pariser Abkommens, hat sich WACKER selbst das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Dazu muss die Produktion natürlich auf eine neue Rohstoffbasis gestellt werden.
Ein erster Schritt dahin ist bereits gemacht: Schon seit 2018 kann WACKER verschiedene Polymere liefern, bei denen bis zu 100 % der für die Herstellung benötigten fossilen Rohstoffe nach dem Massenbilanzverfahren durch erneuerbare Rohstoffe in der Wertschöpfungskette ersetzt wurden.
Zu den ProduktenMeilensteine der Vinylacetat-Chemie
1921:
Dr. W. Haehnel findet ein Verfahren, um Vinylacetat zum ersten Mal wirtschaftlich herzustellen
1924:
Die erste VAM-Pilotanlage im Technikum geht in Betrieb
1928:
Die erste große Produktionsanlage für VAM in Burghausen ist fertiggestellt
1930:
Start der Produktion von Polyvinylacetat
1953:
Dr. M. Ivanovits beginnt mit der Entwicklung der redispergierbaren Dispersionspulver auf Basis der Polyvinylacetat-Dispersionen
1957:
Das 2. WACKER-Verfahren ermöglicht die Herstellung von Acetaldehyd aus petrochemisch erzeugtem Ethylen
1960:
Im neuen WACKER-Werk Köln wird zum ersten Mal weltweit großtechnisch aus Ethylen Acetaldehyd hergestellt
2018:
WACKER bietet mit VINNAPAS® eco (ehemals VINNECO®) polymere Bindemittel an, die mit Einsatz von Bio-Essigsäure produziert werden