Mit Cyclodextrinen lassen sich auch kleinste Schadstoffmengen aus dem Trinkwasser filtern
14.05.2020 Lesezeit: ca. MinutenMinute
Sauber durch Zucker
Cyclodextrin ist eigentlich ein unscheinbarer Rohstoff, der aus Maisstärke gewonnen wird. Doch wenn es darum geht, Mikroverunreinigungen aus dem Trinkwasser herauszufiltern, laufen die ringförmigen Saccharide zu großer Form auf. Unterstützt von WACKER, hat das US-Start-up Cyclopure diese Technologie zur Wasserreinigung entwickelt.
Das zitronengelbe Pulver sieht so appetitlich aus, dass man fast davon essen möchte. Doch sein Hauptbestandteil, Cyclodextrin von WACKER, ist geruchs- und geschmacklos. Und trotz seines appetitlichen Aussehens dient das gelbe Pulver nicht dazu, Hunger zu stillen, sondern Durst. Und auch das nur indirekt. Das im US-Bundesstaat Illinois ansässige Unternehmen Cyclopure verbindet Beta-Cyclodextrine von WACKER mit starr vernetzenden Monomeren zu einem leistungsfähigen wasserreinigenden, gesundheitlich unbedenklichen Adsorptionsmittel, das Mikroverunreinigungen – Spuren von Chemikalien, Pharmazeutika und Pestiziden im Nanobereich – aus dem Trinkwasser entfernt.
Mittlerweile ist bekannt, dass per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS), eine hochtoxische Gruppe von Mikroschadstoffen, weltweit ein ernsthaftes Gesundheitsproblem darstellen. Die Chemikalien bestehen aus Tausenden von Verbindungen, darunter PFOA, PFOS und GenX, und finden aus einer Vielzahl von Industrieanwendungen wie Feuerlöschschaum, Verpackungen, Textilien und der Antihaftbeschichtung von Pfannen ihren Weg ins Grundwasser. Darüber hinaus wurden die Chemikalien in der Luft, im Boden, in Pflanzen, im Menschen, in der Tierwelt und in Gewässern nachgewiesen.
Was PFAS so gefährlich macht, ist der Umstand, dass sie sich, nachdem sie in den Organismus gelangt sind, mit einer Halbwertszeit von mehreren Jahren im Körper anreichern. Diese schwer abbaubaren Chemikalien wurden bereits mit Bluthochdruck, Schilddrüsenerkrankungen, Leberschäden und Nierenkrebs in Verbindung gebracht und können während der Schwangerschaft einen heranwachsenden Fötus gefährden.
„Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass sogar ein sehr niedriger PFAS-Gehalt gesundheitsschädlich ist“, sagt Mark Harrison, Global Business Development Manager für Cyclodextrine bei WACKER in den USA. „Staatliche Umweltbehörden ergreifen immer strengere Maßnahmen, um zu verhindern, dass die Menschen dauerhaft PFAS ausgesetzt sind.“
Cyclodextrine sind ringförmige Zuckermoleküle, die aus Maisstärke gewonnen werden – eigentlich ein ganz unscheinbarer Rohstoff. Aber genau diese unscheinbaren Moleküle können die Grundlage für ein neues Material bilden, das effektiv auch kleinste Mengen Mikroverunreinigungen und PFAS im Nanobereich (unter 5 ppt) aus dem Trinkwasser herausfiltert. Für die Herstellung dieses Adsorptionsmittels vertrauen die Wissenschaftler bei Cyclopure auf Beta-Cyclodextrine (β-Cyclodextrine) von WACKER.
Erstmalige Anwendung
Mark Harrison weiß so ziemlich alles über Cyclodextrine – zum Beispiel, wie die Ausrichtung der in Ringform angeordneten Glucosemoleküle dafür sorgt, dass der innere Hohlraum des Moleküls hydrophob (wasserabweisend) ist – im Gegensatz zu seinem hydrophilen (wasserbindenden) Äußeren.
Als Harrison 2016 einen Bericht über die Arbeit des Forschers Will Dichtel von der Cornell University mit dem Titel „Schnelle Entfernung organischer Mikroverunreinigungen aus dem Wasser durch ein poröses β-Cyclodextrin-Polymer“ entdeckte, war der WACKER-Manager wie elektrisiert.
„Cyclodextrine schaffen es selten auf die Titelseite eines Magazins“, erklärt Harrison. Aber er wusste, dass Beta-Cyclodextrin, bestehend aus sieben Glucosemolekülen, vorher noch nie kommerziell für die Wasserreinigung eingesetzt worden war – und erkannte sofort das Potenzial.
Cyclodextrine sind kostengünstig und werden bei WACKER aus einem nachwachsenden Rohstoff gewonnen: Maisstärke. „Beta-Cyclodextrin ist ein ausgezeichnetes Adsorbens und wird nachhaltig im industriellen Maßstab hergestellt“, erläutert Harrison. „Vereinfacht dargestellt, wollen die Wassermoleküle im hydrophoben Hohlraum nach draußen, wenn man Beta-Cyclodextrin ins Wasser gibt. Andere hydrophobe Moleküle, zum Beispiel chemische Verbindungen, nehmen dann sofort die Stelle der Wassermoleküle im Hohlraum der Cyclodextrine ein.“
Vom Mais Zum Adsorbens
Auf der Grundlage flüssiger Maisstärke und der anschließenden Zugabe von Enzymen stellt WACKER in einer biotechnischen Reaktion β-Cyclodextrinpulver her. Danach wird das Material von Cyclopure weiterverarbeitet. Cassou erklärt dazu: „Im Labor verbinden wir die Cyclodextrine durch starre aromatische Vernetzer miteinander. Dadurch bildet sich ein Netzwerk aus Billionen von winzigen Poren, den kleinen, gleichförmigen Cyclodextrin-Hohlräumen.“
Die Wissenschaftler fügen außerdem Katalysatoren und Monomere hinzu, die es ihnen ermöglichen, bestimmte Mikroverunreinigungen gezielt zu bekämpfen, und die dem Pulver seinen gelben oder weißen Farbton verleihen. Der daraus entstehende Stoff ist ein vernetztes mesoporöses Beta-Cyclodextrin-Polymer mit großer Oberfläche, das Gastmoleküle anzieht und in den Hohlräumen des Cyclodextrins bindet. Mikroschadstoffe können jederzeit in den Hohlraum gelangen, aus diesem jedoch nicht mehr entweichen.
Aber ist Glucose nicht das Gleiche wie Zucker, und ist Zucker nicht wasserlöslich? Auch wenn sich Oligosaccharide normalerweise in Flüssigkeit auflösen, sind die mit starren Bindungen zu einem Netz verknüpften Beta-Cyclodextrine nicht mehr wasserlöslich.
Darin besteht die bahnbrechende Technologie von Cyclopure, aufgrund derer Harrison bei WACKER aktiv wurde. Von der Partnerschaft, die sich daraus entwickelt hat, profitieren beide Seiten. „Seit den Anfängen von Cyclopure ist WACKER ein verlässlicher Lieferant vor Ort, der aber auf ein globales Netzwerk zurückgreifen kann“, sagt Harrison. WACKER unterstützte Cyclopure von Anfang an und lernt auch von der Kooperation mit dem jungen Unternehmen.
„Die Arbeit mit Cyclopure und seinen Adsorptionsmitteln hat uns zusätzliche Einblicke in die Verwendung von Cyclodextrinen verschafft“
Mark Harrison, Global Business Development Manager für Cyclodextrine
Schnell, Einfach, Effektiv
Auch wenn die von PFAS ausgehenden möglichen Gefahren schon länger bekannt sind, so lassen sich doch heute durch leistungsstarke Instrumente wie die Massenspektrometrie Chemikalien in einer Konzentration von einem Teil pro Billion nachweisen. Eine derart präzise Analytik war früher nicht verfügbar. „Um dies anschaulicher zu machen: Ein Teil pro Billion ist ein Tropfen in 3,78 Millionen Litern“, erklärt Frank Cassou, der CEO von Cyclopure.
„Durch die hochentwickelte Messtechnik sind wir in der Lage, Mikroverunreinigungen zu quantifizieren. Sie zeigen, dass Chemikalien in diesen Konzentrationen viel weiter verbreitet sind, als bisher bekannt war. Und sie lassen sich nicht durch die herkömmliche Wasseraufbereitung mit Aktivkohle entfernen.“
Aktivkohle, die üblicherweise aus verbrannten, fein gemahlenen Kokosnussschalen hergestellt wird, hat eine große Oberfläche mit einer ungleichmäßigen Porenstruktur. Diese Struktur bindet größere Schadstoffe, typischerweise natürliche organische Stoffe – Verbindungen mit einem hohen Molekulargewicht, die aus verrottenden Pflanzen- und Tierresten entstehen. Aber ähnlich wie bei dem Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“ bleiben keine Poren mehr frei für die kleineren Mikroverunreinigungen, wenn diese größeren Moleküle sich ihren Platz gesichert haben. Und wenn alle Poren besetzt sind, funktioniert das Adsorbens in Form von Aktivkohle nicht mehr.
Gesättigte Aktivkohle wird normalerweise auf Deponien entsorgt oder verbrannt. Bereits einmal zur Reinigung verwendete Aktivkohle kann nur bei extrem hohen Temperaturen (normalerweise über 900 Grad Celsius) reaktiviert werden. Daraus ergibt sich der dringende Bedarf an einer schnelleren und wirksameren Methode zur Entfernung von Mikroschadstoffen aus dem Wasser. „Die Beta-Cyclodextrine von WACKER haben eine Größe von 0,78 Nanometern“, sagt Frank Cassou. „Das ist die ideale Größe zur Bindung von Mikroverunreinigungen wie PFAS.“
Das Adsorptionsnetzwerk aus winzigen Poren lässt Wasser durchfließen, aber der Größenausschluss verhindert, dass sich größere Moleküle einnisten. Dies erklärt auch, warum die Adsorptionsraten des Cyclodextrin-Polymers für PFAS so schnell sind und diese in nur fünf Minuten zu 90 Prozent entfernen. Ein weiterer Vorteil für die Umwelt ist, dass das Adsorptionsmittel mit Methanol bei Umgebungstemperatur ausgewaschen und weiterverwendet werden kann.
Formeln, Filter, Freunde
In den letzten Jahren hat WACKER seinen Partner Cyclopure in den Vereinigten Staaten mehrfach dabei unterstützt, Zuschüsse von der National Science Foundation und dem National Institute of Environmental Health Sciences zu erhalten. Mit finanzieller Unterstützung durch diese Einrichtungen modifizierten die Wissenschaftler von Cyclopure ihre Adsorbtionsmittel so, dass sie ganz bestimmte Schadstoffe binden. Nach der Entwicklung des Cyclodextrin-Polymers DEXSORB 2016, das Rückstände aus Pharmaprodukten und Pestizide bindet, haben die Chemiker des Unternehmens ein zweites Adsorbens speziell für PFAS entwickelt: DEXSORB+. Dieses wurde durch Hinzufügen einer positiven Ladung und durch Substitution verschiedener Vernetzer speziell dafür konzipiert, PFAS ausfindig zu machen und zu binden. Cyclopure wird, unterstützt von WACKER, bald mit der kommerziellen Produktion seiner zwei Formeln zur Wasserbehandlung beginnen.„Alle Beteiligten haben sich bei jedem Schritt als echte Freunde erwiesen. Sie haben uns Know-how und Ressourcen angeboten, um uns beim Ausbau unseres Geschäfts zu unterstützen“, erklärt Cyclopure-Chef Frank Cassou. „Es entstand schnell ein vertrauensvolles Verhältnis mit Mark und dem Führungsteam von WACKER in München. Wir wurden von Anfang an ernst genommen, selbst als wir noch ein unbekanntes Start-up waren.“ Darüber hinaus erhält das junge Unternehmen immer mehr Aufmerksamkeit von renommierten Wirtschaftsverbänden und ist Finalist der Start-up Challenge beim World Materials Forum 2020.
Cyclopure hat sich sehr schnell weiterentwickelt. „Wir sind immer wieder beeindruckt von der Geschwindigkeit, mit der Cyclopure seine Technologie für die kommerzielle Nutzung optimieren konnte“, erklärt Mark Harrison. „Sie demonstrieren ein hohes Maß an Fokus und Expertise.“ Das Unternehmen produziert und verkauft jetzt auch für die kommerzielle Nutzung Wasser-Test-Sets für den Nachweis von PFAS in Leitungswasser und nutzt die Filterung an seinen Standorten; die Markteinführung entsprechender Produkte ist im Laufe dieses Jahres geplant.
„WACKER war für Cyclopure ein unschätzbarer Partner bei der Entwicklung unserer Adsorptionsmittel der Marke DEXSORB®.“
Frank Cassou, Mitbegründer und CEO von Cyclopure, Inc.
Cassou erklärt dazu: „Unsere wirtschaftliche Planung sieht vor, unsere Cyclodextrin-Produkte nach und nach auf den Markt zu bringen, wobei wir mit den analytischen Anwendungen anfangen und unser Angebot dann um die Wasserfiltration für Privathaushalte und in kommunalen Aufbereitungssystemen erweitern. Unser Produkt DEXSORB in Granulatform ist sehr gut für die Trinkwasseraufbereitung und Klärtechnik im großen Maßstab geeignet, da es eine hohe Kapazität und gute Regeneration mit hervorragenden Reinigungseigenschaften verbindet.“
Erfahrung sammeln Cassou und sein Team durch prestigeträchtige Pilotprojekte. Sie sind Mitglied des Konsortiums Northwestern Center for Water Research, das kürzlich mit dem Energy-Water Award der BIRD Foundation ausgezeichnet wurde. Die Aufgabe von Cyclopure besteht darin, PFAS und andere Mikroverunreinigungen aus gereinigtem Abwasser zu entfernen, bevor es zur Weiterverwendung in der Landwirtschaft oder Industrie freigegeben wird.
Mark Harrison sucht beständig nach Möglichkeiten, das Cyclodextrin-Geschäft von WACKER weiter auszubauen. In diesem Fall führte die Suche zu einer schnellen, effektiven und umweltschonenden Wasseraufbereitung mittels unlöslicher Zuckermoleküle. „Durch unsere Zusammenarbeit mit Cyclopure kann WACKER eine Schlüsselrolle dabei übernehmen, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass Trinkwasser so sauber ist, wie es aussieht“, erklärt er.
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